Samstag, 24. Januar 2015

Glückliche Familie Nr. 264: Die bockigen Erzieher


Eine Mutter schrieb mir, dass sie im neuen Kindergarten ihrer Tochter Situationen erleben würde, die ihr Unbehagen bereiten.

Ich komme in die Kita und höre in der oberen Etage ein Kind vor der Garderobe weinen.
Im Flur kommt mir eine Erzieherin entgegen und wendet sich dem Kind mit folgenden Worten zu: "Hast du jetzt endlich ausgebockt? Dann darfst du mit nach hinten kommen. Ansonsten bringe ich dich zu den Babys, denn die heulen und bocken auch so rum wie du.“


Nächste Situation: Mein Kind teilt der Erzieherin beim Tschüß-Sagen freudig mit, dass sie gleich zu ihrem Freund fährt. Daraufhin die Erzieherin: “Das heißt nicht 'will' , das heißt 'möchte'“. Ich sage, sie hat nur gesagt  "ich fahre", nicht "ich will fahren“. Auf meinen Einwand hin hat sich die Erzieherin bei meiner Tochter entschuldigt.
Als die Erzieherin weg war, sagt Lea zu mir: “Aber zu Hause darf ich doch noch willen Mama, oder?“

Nächste Situation:“Ich komme mittags, um meine Tochter abzuholen, als ein Junge (knapp drei Jahre alt) weinend in der  Garderobe sitzt. Ihm gegenüber eine Praktikantin, die ihm sagt, sie sei jetzt auch traurig, dass er so bockt und sich nicht auszieht“.
Als ich frage, was denn war, erzählt sie, der Kleine habe sich im Reißverschluss den Finger geklemmt, sei auch getröstet worden, solle jetzt aber, weil er es ja könne, seine Regenhose alleine ausziehen. Sie müsse ihn jetzt ja nicht behandeln wie ein Baby.
Ich weiß, dass ich meinen Kindern oft zuwenig zutraue und viel abnehme, aber in dieser Situation habe ich gesagt: "Ich glaube, er ist müde und braucht Nähe. Er möchte einfach, dass jemand ihm über diese Hürde hilft und ihm zum Trost die Hose auszieht."
Erst guckte sie mich komisch an, dann machte sie es aber tatsächlich und ein Strahlen ging über das Gesicht des Kindes. Er umarmte sie, schnappte sich seine Hausschuhe, zog sie an, flitzte zum Händewaschen ins Bad, um endlich mit seiner Gruppe essen zu können.
Leider kam in dem Moment, als die Praktikantin dem Jungen aus der Regenhose half, der Erzieher dieses Kindes vorbei und sagte:“Das glaube ich doch wohl nicht. Das kannst du allein. Ab morgen geht das aber wieder!“



  • Die Situationen, die Inga beschreibt, sind - jede für sich genommen - nicht dramatisch. Aber sie zeugen von einem durch Regeln erstarrtem, wenig liebevollem Verhalten den Kindern gegenüber. 
  • So etwas kann vorkommen. Und Erzieher haben auch mal einen schlechten Tag. Aber wenn die Grundatmosphäre dort so ist, würde ich erst der Erzieherin meines Kindes (1. Stufe) und dann der Kita-Leitung fröhlich freundlich, aber klar meine Eindrücke schildern. "Mich beunruhigt, dass .... Ich habe Frau Soundso auch schon darauf angesprochen. Da ich es jetzt mehrfach erlebt habe, möchte ich Ihnen das mal schildern ...".
  • Sicher haben diese Erzieher auch Gutes im Sinn. Sie haben vielleicht gelernt, dass man Kindern helfen soll, selbständig zu werden. Kinder im Kita-Alter haben aber sowieso den natürlichen Drang, möglichst viel alleine zu probieren. Man sollte ihnen nicht vorauseilend alles abnehmen. Aber man sollte sie auch nicht alleine lassen, wenn sie mit einer Situation überfordert sind. Und der natürliche Drang, alles alleine machen zu wollen, geht kaputt, wenn wir sie mit diesem Selbstständigkeits-Ding drangsalieren. 
  • Warum denn so ein Krampf? Wo bleibt die Intuition, wo das Gefühl für das Kind in diesem speziellen Moment?
  • Dann dieser Vorwurf, ein Kind sei bockig oder verhalte sich wie ein Baby. Das ist ein Hebel, der sehr wirksam ist. Ich erinnere mich sehr unangenehm daran, es selber auch gemacht zu haben, weil Kleinkinder das so trifft, besonders das mit den Babys. Sie wollen alles sein, Monster, Vampire, Superman, aber - um Himmels willen - keine Babys mehr. Es war Jesper Juul, in dessen Büchern mir das klar wurde. Er schreibt: 
"Wenn wir dem Kind die Schuld geben (daran, dass etwas nicht funktioniert, Anmerk. der Bloggerin), kränken wir seine persönliche Integrität und reduzieren seine Lebenstauglichkeit. Schuld und Scham sind die beiden selbstzerstörerischsten Gefühle, die wir kennen." (Jesper Juul: "4 Werte, die Kinder ein Leben lang tragen",  München 2014, S. 29) 
  • Ich kann als Erzieher sagen: "Alle ziehen ihre Jacken und Regenhosen aus und hängen sie an ihren Haken." Bei den Kindern, die das nicht schaffen oder es nicht machen, kann ich Hilfe anbieten. Bei Kindern, die einem grundsätzlich alles hinstrecken und immer Hilfe wollen, kann ich sagen: "Heute helfe ich dir, aber ich bin mir sicher, bald schaffst du das alleine." Wenn sich trotzdem an der Situation nichts ändert, kann ich sagen: "Es tut mir leid, ich muss den anderen Kindern im Gruppenraum helfen, den Tisch zu decken, ich habe keine Zeit, dir jeden Tag aus den Kleidern zu helfen. Komm einfach nach, wenn du soweit bist. Und wenn es gar nicht geht, sagst du noch einmal Bescheid." Ich kann bei mir und dem Funktionieren meiner Arbeit bleiben, ohne das Kind abzuwerten. 
  • Ein Kind, das sich gerade weh getan hat, möchte Nähe tanken, wie Inga es der Praktikantin zu verstehen gegeben hat. Es ist dann nicht der Moment, in dem es Aufgaben erfüllen oder Herausforderungen bestehen kann. Wie man gesehen hat, ging dann alles viel leichter, als die Praktikantin dem Jungen über die Hürde geholfen hat. Im Grunde war die Praktikantin bockig und die anderen Erzieher auch und die Kinder halten den Erwachsenen bloß einen Spiegel vor. 

Danke, liebe Inga, für deine Mail mit den Kita-Erlebnissen!

Bei Ingas Schilderungen fiel mir ein Pixi-Buch ein, das wir mal hatten. Es ist für mich das lustigste Pixi-Buch überhaupt. Es handelt davon, wie eine Mutter versucht, ihrem Kind einen Schneeanzug anzuziehen. Es entsteht ein fürchterlicher Kampf und am Ende steckt die Mutter in dem Schneeanzug. Herrlich. Ich habe im Netz noch ein Exemplar dieses Büchleins aufgetrieben und verlose es heute zum (jetzt alle ein Trommelwirbel) ... dritten Geburtstag meines Blogs.

Sorry, ich hätte gerne zehn davon verschenkt, aber es gab nur noch eins. 





Wer an der Verlosung teilnehmen möchte, schreibe mir bitte bis Donnerstag, 29. Januar, 9 Uhr einen Kommentar mit einer Episode zum Selbständigwerden und einem Hinweis, ob ihr an der Verlosung teilnehmen möchtet. 

Immer fröhlich ohne Abwertung und Zwang Kinder selbstständig werden lassen.

Eure Uta