Samstag, 13. Dezember 2014

Glückliche Familie Nr. 257: Linus boykottiert den Kindergarten


Jörg, Vater von Linus (zweieinhalb) und Zwillingsmädchen (knapp vier Monate) hat mir Folgendes geschrieben:

Wir sind im September umgezogen, von der Stadt in den Vorort. Linus musste deshalb von der Tagesmutter wechseln in die Nachmittagsspielgruppe eines Waldorfkindergartens. Zuerst hat er die Spielgruppe gut angenommen, aber Mitte Oktober begann er, sich zu verändern. Er wurde zu Hause sehr laut ... Er hat sich immer mehr allem verweigert und gezielt das gemacht, was uns provoziert ...
Als er vor einer Woche partout nicht in den Kindergarten gehen wollte, habe ich ihn schreiend abgegeben (was mir den ganzen Nachmittag ein schlechtes Gewissen gemacht hat). Am nächsten Tag habe ich ihn wieder mit nach Hause genommen, als er anfing zu weinen und wieder nicht in den Kindergarten wollte. 
Wir haben ihm dann frei gestellt, ob er in den Kindergarten möchte, sind aber jeden Tag dorthin spaziert und wieder zusammen nach Hause gegangen, sobald klar war, dass er wirklich nicht möchte.
Nach einer Woche ist er dann wieder einen Nachmittag in den Kindergarten gegangen. Zwar hat er kurz gesagt, dass er nicht möchte. Aber als ich anbot, mit rein zu gehen, war es okay. Und als ich mich verabschiedete, war es auch in Ordnung.
Abends, als ich ihn abholte, wollte er nicht nach Hause, dann wollte er doch, dann wollte er im Kindergarten bleiben ....
Das hat uns sehr nachdenklich gemacht. Wir haben jetzt die Sorge, dass er vielleicht das Gefühl hat, wir wollten ihn nicht zu Hause haben.  
Wir denken mittlerweile, dass der Kindergarten vielleicht gar nichts für ihn ist. Denn sobald er abends nach Hause kam, wurde er richtig laut und alles brach aus ihm heraus, was er tagsüber zurückgehalten hat. Im Kindergarten ... ist Schreien gar nicht erlaubt, und er ist nun mal ziemlich impulsiv (aber das lieben wir ja auch an ihm). 
Völlig verwirrt haben uns die Aussagen der Kindergärtnerin (Waldorf!):
* Wenn wir ihm jetzt keine Grenzen setzen würden, hätten wir es damit in der Pubertät auch sehr schwer.
* Auf unsere Information, dass er sich nach aufwühlenden Tagen wieder richtig in die Hose machen würde, meinte sie, das würde schon wieder aufhören, spätestens wenn er vier sei.
* Die Kindergärtnerin sagte, wir müssten Stärke zeigen, damit er lernt, stark zu sein.  
* Es sei der Klassiker: Er würde merken, dass er mit seinem 'Nein' durchkomme, und es dann immer wieder machen.  
Das widerspricht total unseren Gefühlen. Deswegen überlegen wir auch, ihn da rauszunehmen. Noch sind wir beide in Elternzeit (bis September 2015). Von daher haben wir keinen Zeitdruck. 
Meine zentrale Frage ist: Kann ein Kind in dem Alter allein entscheiden, ob es in den Kindergarten geht? 
Mit hat es gut getan, das aufzuschreiben. Und wenn du dir kein Urteil bilden willst, da nur meinen Text hier kennst und nicht den Linus selber, kann ich das gut verstehen. Vielen Dank fürs Lesen!
Heute war übrigens wieder ein schöner fröhlicher Tag mit ihm ;-).
Alles Liebe
Jörg 

Lieber Jörg,

ich finde das Verhalten von Linus sehr normal. Entthront zu werden, gleich von zwei Mädels, umziehen, neuer Kindergarten, Umstellung von Morgens auf Nachmittags ... Für so einen kleinen Kerl ist das wie ein Erdrutsch. Da ist es sehr gesund, dass er zuweilen aus der Haut fährt und nicht alle Körperfunktionen unter Kontrolle hat. 

Als unser Kronprinz so alt wie Linus war, sind wir mit ihm nach Frankreich gezogen, wo kurze Zeit später Prinzessin geboren wurde. Plötzlich fing Kronprinz an zu stottern und hatte seine Ausraster. Erst nach Monaten wurde das besser und verschwand dann völlig. Einmal pro Woche brachte ich ihn dort in eine deutsche Kindergruppe. Am Ende des Nachmittags sollten alle Kinder zu einem Lied im Kreis um den Tisch laufen. Der Kronprinz lief immer als einziger in die Gegenrichtung und die nette Erzieherin hat ihn gelassen. 

Wie viel "Linus im Kindergarten" braucht ihr denn als Eltern (ist ja extrem anstrengend mit Baby-Zwillingen!)? Wenn ihr sagt, zwei Nachmittage reichen uns, würde ich das durchziehen. Und dann immer die gleichen Nachmittage. Dieses Hin und Her, das er veranstaltet, ist ein Signal an euch: Bitte gebt mir Führung, eine klare Linie, die Sicherheit, dass ihr Großen wisst, was ihr wollt. Und im Laufe der Zeit könnte ein weiterer Nachmittag dazu kommen.  

Diese klare Linie sollte aber ein Entgegenkommen an Linus enthalten, etwas, das ihm zeigt, dass er mit seinen Schwierigkeiten gesehen wird. So etwas wie zum Beispiel  "Mama nimmt sich einmal pro Woche eine Weile Zeit nur für Linus ("unser Nachmittag", "unsere Bücherstunde", "unsere Kekspause"). Und darauf kann er sich verlassen, dann gehen seine Bedürfnisse vor. Exklusive Zeit mit Mama und viel körperliche Nähe ist in dem Alter extrem wichtig. Auf dem Schoß ein Buch lesen, Linus darf wieder Baby sein, Massage, Rückenkratzen, nur mit Mama auf dem Spielplatz ...

Erst die Kombination aus "klare Linie" und "seine Bedürfnisse achten" bildet die Grundlage für eine gute Beziehung. Uff, und genau das ist das Schwierige und die Kunst. 

Deshalb ist es sehr wichtig, dass ihr als Eltern in einer ruhigen Minute überlegt:
  • Welcher Weg ist in unserem Familienalltag gangbar? 
  • Wie viel Betreuung für Linus brauchen wir, um den Zwillingen gerecht zu werden?
  • Wie viel Fremdbetreuung brauchen wir, um selber Kraft zu schöpfen?
  • Wo und wie können wir irgendwie Alleinzeit für Linus einschieben?
  • Haben wir jemanden, der mal die Babys um den Block schieben kann? 
  • Welchen Idee haben wir noch? 

Den Kindergarten würde ich nur wechseln, wenn die Einrichtung wirklich eine Katastrophe ist. Noch eine Veränderung - so mein Eindruck - ist jetzt zu heftig für Linus. 

Was ihr zusätzlich versuchen könnt:

Die "Großer-Bruder-Nummer": Die Babys mitnehmen, wenn Linus zum Kindergarten gebracht wird, und solche Dinge sagen wie: "Das ist nur was für Große.", "Wenn ihr mal so groß seid wie Linus, dürft ihr auch dahin, aber das dauert Jahre." Auch bei anderen Gelegenheiten: "Das kann nur Linus, das ist nichts für Babys." - "Dies ist die Tasse/der Teller/ der Kleiderhaken für große Jungs wie Linus." - "Linus, ich brauche einen starken Jungen, der mit mir den Tannenbaumständer tragen kann." - "Lass uns die Tür zu machen, dass wir beide mal unsere Ruhe haben und nicht immer das Geschrei der Babys hören." (Nur nicht umgekehrt eine Erwartung daraus machen: Du bist schon groß, deshalb darfst du nicht mehr in die Hose machen oder wie ein Baby sein oder weinen. Das bitte nicht!!!)

Hier habe ich das Thema "Entthronung" auch aufgegriffen.

Ich hoffe, es ist das eine oder andere dabei, was ihr versuchen könnt. 

Gute Nerven und eine solide Fröhlichkeit wünscht

Uta 


PS: Als ich von Linus las, dachte ich, ich sollte das Buch verlosen, in dem es auch um die Gefühle von Kleinkindern geht. Der Kronprinz mochte es sehr gerne, als er in Linus Alter war. Ich habe es zusammen mit unserer Katze Amy verpackt, ich meine, Amy hat geholfen, sie ist nicht mit im Paket. 




Wer das Bilderbuch gewinnen möchte, schreibe mir bitte bis Montag um 22 Uhr einen Kommentar, in dem steht, wie es bei euch aussieht mit dem fröhlichen Aufbegehren von Kindergartenkindern. Viel Glück!

noch ein PS: Das Buch habe ich antiquarisch erworben, weil es das nicht mehr neu zu kaufen gibt. Es ist gut erhalten, aber an den Ecken leicht angestoßen. 

und noch ein PS: Ist das nicht irre, dass in dem Buch auch so eine graugetigerte Katze vorkommt wie unsere Amy? Das muss beim Shooting in meinem Unterbewusstsein gearbeitet haben, ... kann man nicht  lernen :-).