Mittwoch, 4. Juni 2014

Glückliche Familie Nr. 223: Engele flieg


Ich habe früher gedacht, ich müsste durch meine Stimmung unterstreichen, dass das, was das Kind getan hat, nicht erwünscht ist.

Sandkastensand im ganzen Garten verteilt, Blumentopf umgeworfen und Terrasse geflutet - also wird nicht nur geschimpft, sondern dem Kind durch abweisenden Gesichtsausdruck oder sogar Missachtung zu verstehen gegeben, dass dieses Verhalten nicht erwünscht ist.

Sonst habe ich es nicht so mit den Kategorien "richtig" und "falsch". Aber in dieser Sache kann ich sagen: das ist falsch. Und zwar so was von ...

Dass man spontan ausrastet, das Kind anbrüllt, die Förmchen in die Sandkiste pfeffert - geschenkt.

Dafür sind wir Menschen und keine Erziehungsroboter. Und jedes Kind ist froh, wenn es echte Menschen erlebt und nicht Leute, die pädagogisch wertvoll Eltern spielen.

Ein Kind (und überhaupt Menschen) mit Gefühlen zu manipulieren, ist Gift für das Selbstgefühl.
Dann geht es nicht mehr um die Sache, um Regeln, die eingehalten werden, Grenzen, die gewahrt werden sollen. Dann geht es um die Person. Und die trifft es ins Mark, wenn die Beziehung auf dem Spiel steht.

Denn das ist ja das, was gesendet wird: unsere Beziehung steht auf dem Spiel.

"Dann hat Mami dich nicht mehr lieb."

Ich hoffe, dass niemand mehr einen solchen Satz sagt, aber das Wirkprinzip, das da hinter steckt, wird unbewusst von Generation zu Generation weiter gereicht.

In meinem Elterntraining hatte ich mal angeregt, zur Feier der Zeugnis-Vergabe mit der ganzen Familie Pizza essen zu gehen. "Was?!", empörte sich eine Mutter. "Ich soll dieses miese Zeugnis auch noch belohnen? Das kommt gar nicht in Frage." Sie war entschlossen, wegen der schlechten Noten ihres Sohnes in der Familie anhaltend schlechte Stimmung zu verbreiten.

Hat schon mal jemand erlebt, dass die schulischen Leistungen besser werden, wenn Eltern ihr Kind mit schlechter Stimmung bestrafen?

Für mich ist es das Verdienst des 2011 verstorbenen Familientherapeuten Wolfgang Bergmann, deutlich gemacht zu haben, dass Eltern Grenzen setzen und das Band zwischen sich und dem Kind stärken können.

In seinem Buch "Warum unsere Kinder ein Glück sind" beschreibt er eine Situation im Supermarkt. Mutter steht mit ihrer dreijährigen Tochter in der Schlange an der Kasse, rechts und links Quengelware.  Die Kleine mault und meckert, will Kaugummi, unbedingt, nimmt sich Pfefferminz aus dem Regal, muss es zurücklegen, wirft sich heulend auf den Boden ...

Frei nach Bergmann ist Folgendes hilfreich:

  • Ich schaue stolz auf mein Kind. Ja, dieses Kind ist sicher gebunden. Es zeigt normales Neugierverhalten, will die ganze Welt erkunden und am liebsten auch besitzen (symbolisiert durch "Ich will Kaugummi"). Ich hebe den Kopf und kann die Blicke der anderen in der Schlange jetzt besser parieren. "Habe ich das nicht wunderbar gemacht mit diesem Kind?"
  • Ich gehe zu meinem Kind in die Knie, nehme es in den Arm, puste ihm in den Nacken oder tue, was wir sonst tun, um unsere Verbindung zu stärken, und sage:  "So viele Sachen überall um uns rum. Das ist wirklich verlockend. Da kann es manchmal schwer sein, wenn man bei jedem Einkauf nur eine Sache aussuchen darf." (Kind durfte z.B. vorher bestimmen, welche Tomatensauce genommen wird.)
  • Wichtig ist: erstens dem Kind zu zeigen, dass man sein Bedürfnis versteht, und ihm zweitens durch Körperkontakt Nähe und Sicherheit zu geben in dieser von Reizen überfluteten Supermarkt-Welt, und drittens in der Sache nicht nachzugeben

In solchen Quengelsituationen beim Einkauf oder bei Ausflügen hilft nicht Machtkampf, schlechte Stimmung oder gar Missachtung, sondern kurze Momente der Nähe, über den Rücken streichen, in den Arm nehmen oder "Engele flieg" spielen. Dann kann das Kind mit einem "Nein" besser umgehen.


Bei "Engele flieg" müsste ich jetzt in die Mitte, die beiden Thron-Folger kriegen wir einfach nicht mehr hoch. Deshalb gibt es hier kein Bild von Körperkontakt in der Katzenklo-Familie, sondern eine Zeichnung aus dem Elterntraining, mit der ich jeden, wirklich jeden, meiner Posts bebildern könnte. 

"In den frühen Bindungssituationen, im verspielten Miteinander haben sich zwischen Eltern und Kind viele kleine Rituale, Gesten versöhnlicher Art, Berührungen tröstender Art usw. eingeübt. ... Eine davon wenden Sie an. ... und die Welt verliert ihre bedrohlichen Züge und aus dem 'Ich-will-ich-will-nicht' erwächst Beruhigung." (Wolfgang Bergmann: Warum unsere Kinder ein Glück sind. Weinheim und Basel 2009, S. 78)

Nicht mit schlechter Stimmung manipulieren, sondern fröhlich das Band zwischen sich und dem Kind stärken.

Eure Uta


Ps.: Weiß jeder, was "Engele flieg" ist? Falls nicht: Zwei Leute nehmen ein Kind in die Mitte, fassen es an Händen und Unterarmen und lassen es hochfliegen.