Sonntag, 25. Mai 2014

Glückliche Familie Nr. 221: Sich nicht in Grenzen verbeißen


Das Grenzen-Setzen hat mich sehr gestresst, als unsere Kinder klein waren. Besonders der lebhafte Kronprinz war eine echte Herausforderung. Um damit irgendwie klar zu kommen, las ich Bücher wie "Jedes Kind kann Regeln lernen" von Annette Kast-Zahn oder "Warum unsere Kinder Tyrannen werden?" von Michael Winterhoff. Der Soßenkönig und ich besuchten sogar ein Erziehungstraining ("Tripel P"), in dem man lernt, die kleinen "Tyrannen" zeitweise auf einen "stillen Stuhl" zu setzen. Neulich erinnerte sich der Kronprinz (heute 16) an eine solche Situation: "Ich weiß noch, wie ich auf einem Stuhl sitzen musste und nichts sagen durfte."

Mir wurde ganz heiß. Ein Scham-Tsunami flutete meinen Körper.


Als unsere Kinder 11 und 7 Jahre alt waren, bekamen wir unsere beiden Katzen. Eigentlich hätten wir lieber einen Hund gehabt, aber nach Ende der Klein-Kind-Zeit hatte ich keine Lust mehr, noch ein Wesen zu erziehen und damit in die Hundeschule zu müssen. Bei Katzen wusste ich: Da ist Hopfen und Malz verloren. Da kann man nicht scheitern. Das brauche ich jetzt. Katzen sind kaum zu disziplinieren. Das sieht man auch auf dem Bild. Denn ursprünglich hatten wir gesagt: "Die Katzen kommen auf keinen Fall ins Bett." 


Wenn ich Disziplin-Pädagogen wie Michael Winterhoff oder Bernhard Bueb in Talkshows erlebte, wurde ich wütend, weil ich ihr Bild vom Kind nicht mochte. "Nein", wusste ich schon damals, "Kinder kommen nicht als Tyrannen auf die Welt." Und wenn wir Erwachsenen auf dem hohen Ross sitzen und meinen, wir müssten sie von klein auf "in Form bringen", läuft etwas gehörig falsch. Trotzdem fühlte ich mich im Alltag oft hilflos. Ich war fasziniert von der überschäumenden Lebensfreude, die Kinder haben, ihrem Einfallsreichtum, ihrer Energie, musste aber auch irgendwie Struktur kriegen in unsere Tagesabläufe und haushalten mit meinen Kräften.

Wie kann man Kinder im guten Sinne führen?

Habe ich darauf heute Antworten, die anders lauten als bei Winterhoff, Bueb oder Kast-Zahn?

Bei meiner Zugreise neulich erlebte ich Eltern mit einem etwa zweieinhalbjährigen Mädchen. Die Kleine aß ein Brötchen und der Vater bestand darauf, dass sie das Brötchen über den Tisch gebeugt aß, damit sie nicht so krümelte. (Das fand ich etwas viel verlangt für ein Kind in diesem Alter. Ich war auch sehr verwundert, wie ein Mann um die dreißig so pedantisch sein kann, aber Grenzen und Werte sind nun mal sehr individuell. Das ist ja auch okay.)

Wie zu erwarten, klappte das krümelfreie Essen nicht. (Das ist häufig so bei Anweisungen, die ein Kind überfordern.) Der Vater begann, in einen Prozess zu geraten, den ich "Sich-in-das-Grenzen-setzen-verbeißen" nenne. "Zu Hause kannst du auch über dem Tisch essen, Luisa. Das wird doch hier nicht so schwierig sein." Er sprach laut und beugte sich drohend über den kleinen Tisch. In Erwartung eines kleinen, feinen Erziehungsdramas verstummten die Gespräche im Großraumabteil. "Supernanny" im Zug hat einfach Unterhaltungswert.

Aber dann mischte sich die Mutter ein.

Sie strich dem Mädchen liebevoll über den Kopf, packte das Brötchen ein, an dem es sowieso nur noch lustlos herum gekaut hatte, hob es in den Gang und begann ein Gespräch mit ihrem Partner. Plötzlich saßen die beiden da, hielten sogar Händchen über den Tisch und sprachen über irgendeine Kunstausstellung, die sie begeisterte.

Das kleine Mädchen hatte inzwischen seitlich am Tisch einen Gurt entdeckt, den es herausziehen und mit dem es spielen konnte. Zwischen den Eltern war es plötzlich ganz innig und Luisa spielte versonnen im Gang.

War das nicht genial von dieser Mutter?

* Sie hat eingegriffen, ohne ihren Partner ins Unrecht zu setzen.

* Das Ziel (Ende des Krümelns) wurde erreicht, das war konsequent, ohne einen Machtkampf auszulösen.

* Sie hat das Mädchen im Arm gehalten, es innig angeschaut und dann in den Gang gesetzt. Das zeigt dem Kind: Wir haben ein paar Regeln, die eingehalten werden, aber das Band, das uns beide verbindet, bleibt davon unberührt. 

* Das Kind entspannte sich sichtlich, 
  1. weil es nicht mehr im Fokus erwachsener Aufmerksamkeit stand ("Nein, Luisa, jetzt nicht den Trinkbecher", "Ja, so ist es gut, Luisa", "Rutsche noch ein Stückchen nach vorne", "Du bröselts hier doch alles voll, Luisa" ...)
  2. weil es beiläufig und unbewusst die Verbindung der Eltern spürte. Dafür haben Kinder evolutionsbedingt eine Antenne, weil sie wissen, dass der Zusammenhalt der Eltern ihr Überleben sichert

Immer fröhlich als familiäre Führungskraft vermeiden, sich ins Grenzen-Setzen zu verbeißen.

Eure Uta