Donnerstag, 3. April 2014

Glückliche Familie Nr. 210: Die Über-Psychologisierung


Meine jüngste Buch-Anschaffung stammt von einer Österreicherin, die ein Lern- und Beratungsinstitut für Familien gegründet hat. In dem Buch hat sie Gespräche mit Eltern aufgezeichnet. Es sind Mütter - zum Teil auch Väter - , die erzählen, wie es ihren Kindern in der Schule ergeht und was sie unternommen haben, um sie zu unterstützen.

So weit, so gut.

Bis ich zu dem Kapitel kam, in dem eine Frau schildert, dass ihre sechsjährige Tochter Rebecca häufig nicht zur Vorschule gehen möchte.

"Ich habe zu ihr gesagt, dass es in Ordnung ist, dass sie nicht in die Schule gehen will. Ich will auch mehr darüber wissen, warum das so ist. Das heißt nicht, dass sie gleich zu Hause bleiben darf, es heißt lediglich, dass ich mich für das Nein meines Kindes interessiere."

Das klingt gut, "sich für das Nein meines Kindes interessieren". Aber je mehr ich las, desto häufiger kritzelte mein Bleistift Comik-Blasen an den Rand des Textes:

"Äh?" - "Oh, mein Gott." - "Kreisch". -  "Ich kriege die Krätze."

Von Satz zu Satz wurde deutlicher, dass diese Mutter das "System Schule" ablehnt und dass das Mädchen die Schul-Ablehnung der Mutter übernimmt.

"Jeden Tag, wenn sie in der Früh aufwacht und sagt: 'Ach, ich will nicht in diese Babyschule gehen. Die lassen mich nicht Rebecca sein. Ich will dort nicht hin....' wenn sie das sagt, dann denke ich mir: 'Bleib lieber zu Hause und schlaf noch ein bisschen.'"

Die Mutter berichtet schließlich, dass das Mädchen schon seit drei Wochen immer häufiger nicht zur Schule will.

Wundert uns das?

Und auf einen Satz wie "Die lassen mich nicht Rebecca sein" kommt keine Sechsjährige von alleine. Da findet eine Über-Psychologisierung statt, die das Kind überfordert und ihm massiv schadet.

Da platzt mir echt der Kragen.

Dieses Kind darf nicht Rebecca sein, weil es so sehr wie Mama sein muss, weil es in erster Linie mit seiner Mutter kooperiert und spürt, dass deren Weltbild schwer erschüttert würde, wenn Klein-Rebecca die Hände in die Hüfte stemmen und rufen würde: "Komm, Mama, reiß dich zusammen, ich schaffe das schon!"

Ihr wisst, wie wichtig es mir ist, dass ein Kind der Mensch werden darf, der in ihm angelegt ist.

Ihr wisst auch, dass ich nicht alles toll finde, was in unseren Schulen läuft.

Aber wenn ein Kind damit aufwächst, dass seine Eltern von Schule sprechen, als wäre das ein Einsatzort für Amnesty International, sind die Schwierigkeiten vorprogrammiert.

Und wenn - laut Aufzeichnung - die Beraterin nur die Äußerungen der Mutter spiegelt und am Ende des Gesprächs lediglich sagt: "Das wünscht du dir sehr, dass Rebecca Mensch sein darf in der Schule, die sie gerade besucht, oder?" finde ich, dass manchen Leuten wirklich die Maßstäbe verloren gehen.

Als Beraterin hätte ich schwer an mich halten müssen, um bei der Frau nicht Methoden anzuwenden, die Amnesty doch noch auf den Plan gerufen hätte.

Denn was die Mutter an der Vorschule störte, waren so Dinge wie, dass die Erzieherin dem Mädchen beim Gang auf die Toilette zu viel Unterstützung aufgedrängt hätte. Und deshalb werde das Kind nicht in seiner Individualität wahr genommen. Ja, geht's noch?

Gerade die Mütter, die sich so sehr Stärke und Selbstbewusstsein für ihr Kind wünschen, schwächen es mit diesem übersteigertem Schutzbedürfnis.

Kuscheltiere gewaschen, damit ich mich nicht so aufrege. 

Ich wünsche Rebecca,
  • dass ihre Eltern sie in Ruhe lassen mit all ihren Bedenken und Sorgen
  • dass sie ihr zutrauen, auch mit Situationen oder Lehrern zurecht zu kommen, die nicht optimal sind
  • dass ihre Eltern ein Gespür dafür entwickeln, wann sie wirklich Partei für ihr Kind ergreifen müssen 
  • dass das Leben für Rebecca kinderleicht sein darf

Immer fröhlich den Kindern ein Halt sein und kein überempfindlicher Seismograph ihrer Befindlichkeiten

Eure Uta