Freitag, 14. März 2014

Glückliche Familie Nr. 205: Das Entgleiten


Draußen schönster Sonnenschein, Erdgeruch und Meisen-Flugschau.
Drinnen ein Jugendzimmer, abgedunkelt, sockenmuffig. Das einzige Licht der Bildschirm-Schein im Gesicht des eigenen Kindes.

Einschreiten und zusammen ausschreiten im Botanischen Garten?

Mutters Zimmerservice bieten mit Apfelschnitz, Vollkornknäcke und Wetterbericht?

Den Staubsauger vorschieben, Schneise schlagen durch Collegeblocks, Nagellackfläschchen und "Beauty&Beast"Shirts? Das Fenster kippen, Luft schnappen und mit dem "Immer-schön-fröhlich"-Gesicht rufen: "Es ist so herrrrrrrrrlich draußen!"?

Vergebens.

Gewalt wäre nötig, Steckerziehen, Taschengeld-Diäten ... aber solche Methoden sind unserer unwürdig.

Eine kleine Traurigkeit kommt auf, die Traurigkeit, dass einem das eigene Kind entgleitet, lieber mit Vampir-Schinken seine Zeit verbringt als mit uns. Man hört es am Telefon "Ich dich auch" sagen und weiß, dass am anderen Ende der Leitung eine Freundin ein "Ich-liebe-dich" geseufzt hat - dabei ist das nicht einmal die beste Freundin.

(Mancher mag dieses Love-you-Gesäusel oberflächlich finden, aber für Teenager ist das ein Trost, wenn die Gefühle mal wieder Achterbahn fahren. Und ich sage mir, es gibt schlimmere Inflationen als die von Liebesschwüren.)

Ja, dass einem das eigene Kind entgleitet. Dem ist dieser Post gewidmet.

Und - wie sollte es anders sein? - fand ich Trost in einem Buch.

In "Jugendjahre", das Monika Czernin zusammen mit Remo Largo verfasst hat, schreibt sie:
"Ich habe aufgehört, meine Tochter immer zu fragen, wie es ihr geht, und angefangen, sie mehr zu beobachten. Dabei habe ich gemerkt, wie viel ich, auch ohne dass sie mir etwas erzählt, über sie weiß. Ich sehe ihr an der Nase an, ob mit den Freundinnen alles gut läuft, ob sie verliebt ist oder ihr etwas Sorgen bereitet. Ich versuche also, ihre Abnabelung zu respektieren und erhalte dabei die gute Beziehung zu ihr." (Remo H. Largo, Monika Czernin: Jugendjahre. München 2011, S. 157)
Und Largo ergänzt:
"Kinder und Jugendliche brauchen mindestens einen Menschen, der sie vorbehaltlos akzeptiert - um nicht zu sagen liebt -, wie auch immer sie sich verhalten. Die Eltern können diese Aufgabe (in der Pubertät, Anmerkung der Bloggerin) nur noch bedingt erfüllen." (ebd.)

"Nur noch bedingt erfüllen." Das hallt in mir nach. Ich setze mich mit meinen Apfelschnitz auf die Treppe und esse sie selber.

Die Freundinnen sind wichtiger geworden, selbst die, deren Küsschen vergiftet sind, die einen mit Worten so zielsicher ins Herz treffen, als wäre es so groß wie das Pailletten-Herz vorne auf dem Pulli.




Und Vampire sind wichtiger geworden, Vampire, Werwölfe, Hybriden ... Neulich fragte sie mich beim Mittagessen, ob ich lieber ein Vampire wäre oder ein Hybrid.  "Äh, ... kann ich in der Geschichte nicht einfach eine Mama sein? Meinetwegen eine, die Blutwurst auf den Tisch bringt?"- "Nein, Vampir, Werwolf, Hybrid oder Hexe?" Ich nahm die Hexe.

Und als solche bleibt mir nur:

  • mich freuen am Entgleiten, denn das ist ein Zeichen dafür, dass ich meinen Job mache als Mutter, nämlich mich auf Dauer überflüssig zu machen (schnief)
  • die "Wie-geht-es-dir?"-Fragen zu reduzieren und lieber genau hinzugucken
  • Gelegenheiten zu schaffen, um gute Zeit miteinander zu verbringen, zusammen zu backen, zum Reiten zu fahren, shoppen zu gehen, Abendspaziergänge (Werwölfe, wo?)
  • eine Mischung zu bieten aus Liebevoll-Sein, aber auch was abverlangen (klar muss sie nach dem Backen auch den Abwasch machen)

Das Telefon klinget. Es ist eine Freundin. Kaum aufgelegt, holt sie ihr Rad, ruft noch "Das Wetter ist so schön. Wir wollen an die Elbe" und rauscht davon durch Sonnenschein und Meisen-Flugschau.

Immer fröhlich Abnabelung respektieren und eine gute Beziehung pflegen

Eure Uta