Dienstag, 25. Februar 2014

Glückliche Familie Nr. 201: Aufklärung in Brandenburg


Meine Kinder sind ja nicht mehr im Bullerbü-Alter. Mit 13 und 16einhalb lässt man keine Borkenschiffchen mehr schwimmen oder liest dem blinden Großvater aus der Zeitung vor.

Als Eltern hat man sich mit so Themen wie Alkohol, Rauchen und erste sexuelle Erfahrungen zu befassen. Themen, bei denen ich mich gerne locker gebe, es aber absolut nicht bin.

Kleiner Beispiel-Dialog mit Prinzessin, nachdem ich mir vorgenommen hatte, etwas Heikles anzusprechen:

"Was guckst du so komisch?"-
"Ich gucke komisch?" -
"Ja, du ziehst die Augenbrauen mega-hoch und darüber ist alles voller Falten."-

 Uta kneift sich in die Wangen, lässt das ganze Gesicht schwabbeln und grunzt ein paar Urlaute.

"Besser?"-
"Na, ja."

Meistens bin ich dann so aus dem Konzept, dass ich das heikle Thema lieber fallen lasse.

Neulich aber war ich sehr erleichtert. Da habe ich von Remo Largo, dem Leiter der Abteilung "Wachstum und Entwicklung" am Kinderspital Zürich, Folgendes gelesen:
"Eltern spielen für ihre Söhne und Töchter mit ihrem partnerschaftlichen Verhalten und dem Austausch von Zärtlichkeiten als Vorbilder eine wichtige Rolle. ... Ich bin aber nicht der Meinung, dass die Eltern in der Aufklärung die Hauptrolle spielen sollten, auch wenn sie sich kompetent fühlen und der Ansicht sind, dass sie diese Aufgabe gut erfüllen können." Remo H. Largo, Monika Czernin: Jugendjahre. Kinder durch die Pubertät begleiten. München 2011, S. 55) 
Lieber Remo Largo, ich bin sowas von Ihrer Meinung. Danke! Außerdem bin ich überhaupt nicht der Ansicht, dass ich diese Aufgabe gut erfüllen könnte. Dieses Zitat hänge ich in den nächsten Shabby-Bilderrahmen, der mir unter die Finger kommt. So ein kleiner Freibrief gleich im Flur.

Denn ich bin nicht so kühn wie meine Freundin Britta, die beim Abendessen mit ihren beiden Kindern nicht nur über Aids sprach, sondern auch über die drohende Unfruchtbarkeit (Verkleben der Eierstöcke) durch eine Chlamydieninfektion bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Chapeau, Britta!

Oder wie unser Freund Jochen, der im Auftrag seiner Frau und Mutter seiner bald erwachsenen Kinder zwei Packungen Kondome kaufte und jedem eines in die Hand drückte als wären es Überraschungseier.

Oder wie Bettina, die mit ihrer Tochter im Auto durch Brandenburg fuhr und so leidenschaftlich darüber referierte, wie wichtig es sei, mit dem "ersten Mal" zu warten, bis man sich gut kennt und vertraut, dass sie richtig Gas gab und ein Knöllchen bekam.

Oder wie Claudia, die sich ihren 16jährigen Sohn zur Brust nahm und ihm einschärfte, nie, aber auch wirklich nie ein Mädel anzufassen, das alkoholisiert ist.


Hatte gerade kein Chlamydien-Foto :-)


Aus dem, was ich bei Largo gelesen und von unseren Freunden gehört habe, ergeben sich für mich folgende Erkenntnisse:

  • Jugendliche ziehen beim Thema Sexualität vor allem die beste Freundin oder den besten Freund ins Vertrauen. "Sexualität ist ... Teil des Erwachsenenseins und gehört nicht mehr in das gemeinsame Familienleben. Eltern berichten ihrem Sohn am Frühstückstisch auch nicht, dass sie vergangene Nacht miteinander geschlafen haben." (Largo, Czernin, S. 55)
  • Die Aufgabe von Eltern ist es eher, dafür zu sorgen, dass die Jugendlichen eine gute Beratung bekommen, zum Beispiel von einer verständnisvollen Frauenärztin. Kronprinz (16) habe ich gerade zu einem Check-Up bei unserem Hausarzt angemeldet, weil dieser in einem Gespräch mit meinem Mann angeboten hatte, auch sexuelle Fragen mit dem Prinzen zu besprechen. So eine Vertrauensperson außerhalb der Familie eignet sich viel besser dazu als Mama oder Papa. 
  • Die Kondome werden in unserem Haus beizeiten neben den Wattestäbchen im Bad stehen.
  • Hier ist ein guter Artikel über Chlamydieninfektionen und wie Jugendliche sich davor schützen können. Ich werde den Artikel ausdrucken und ins Gäste-WC hängen. Dort wird früher oder später alles gelesen. (Die Klo-Lektüre wird als erzieherisches Medium häufig unterschätzt.)
  • Maßnahmen wie Verbote, Kontrollen und Strafen gehen bei Jugendlichen meist nach hinten los. Das heißt aber nicht, dass Eltern sich gar nicht um das Thema kümmern sollten. Jesper Juul zufolge brauchen Kinder in der Pubertät ihre Eltern als "Sparringspartner". Sie wollen kein Wischiwaschi oder - noch schlimmer - Desinteresse, sondern Erwachsene, die einen klaren Standpunkt haben und dafür einstehen. Dann können die Jugendlicher selber gucken: Wer will ich in Bezug auf diesen Standpunkt sein? 
  • In eine gute Beziehung zum Kind investieren und in irgendeiner Form immer in Kontakt bleiben. Meine Freundin Lisa erzählte, dass häufig gute Gespräche entstehen, wenn sie ihren 17jährigen Sohn vom Schlagzeugunterricht abholt. Im Auto neben einander zu sitzen, habe so etwas entspannt Beiläufiges. Außerdem meinte sie, dass das Musikmachen seine Gehirnhälften besser vernetze. 

Noch ein Zitat von Largo, das ich so schön fand (wo kriege ich bloß die ganzen Shabby-Rahmen her?):
"Oft kommen mir Jugendliche mit ihren Ansprüchen, die sie etwa bezüglich Treue und gegenseitiger Unterstützung an sich selbst und ihren Partner stellen, moralischer vor als viele Erwachsene."

Immer fröhlich bei der Aufklärung im Hintergrund präsent sein

Eure Uta