Sonntag, 2. Februar 2014

Glückliche Familie Nr. 197: Wie Basti sich innerlich abrackert


Neulich bekam ich in einem Kreis von Müttern diese Geschichte mit:

Eine Frau, die sich vor einigen Jahren von ihrem Mann getrennt hatte, lebt allein mit ihrem zwölfjährigen Sohn und ihrer Mutter.

Oma kocht und backt und führt den Haushalt.
Mutter arbeitet, um alle zu versorgen.
Sohn ist bockig.

Weil er seine Hausaufgaben nicht pünktlich erledigte, wurde das iPad kassiert.
Oma kocht und backt und macht auch noch Cafeteria-Dienst in der Schule. Aber was sie mit dem Jungen tun soll, der sich immer wieder dieses "i-Dings" holt, weiß sie nicht.
Die Tochter hat es schließlich weggeschlossen. Punkt. Aus. Keine Widerrede.

Kürzlich eskalierte die Situation.
Wichtige Arbeitsunterlagen der Mutter waren verschwunden, als sie morgens zu einem neuen Arbeitgeber fuhr.
Sohn war in der Schule.
Oma stellte sein Zimmer auf den Kopf und fand die Arbeitsunterlagen hinter seinem Bett.

Omas Blutdruck in der Situation wollt ihr nicht wissen.

Aber wissen müsst ihr, dass Mutter einen neuen Partner kennengelernt hat und mit Sohn und Mutter in seine Nähe nach Hannover ziehen will und dass ...
Bastian sein altes Umfeld und seine Freunde verlassen und auf eine neue Schule gehen wird, eineinhalb Jahre nach seinem Wechsel von der Grundschule auf das Gymnasium.

Oma und die versammelten Mütter sind sich einig, dass Bastian ein schlimmer Junge ist, dem "mal endlich Grenzen gesetzt werden müssen".

"Jetzt reicht es wirklich mit dem Basti", schnauft seine Oma. "Ich habe ihm schon gesagt, er darf gerne zu seinem Vater ziehen. Dann wird er schon sehen, wie der sich um ihn kümmert. Aber das ist mir jetzt auch egal."

Synchrones Nicken bei den Frauen.

Alle bedauern die Oma. "Das hat die Heide doch wirklich nicht verdient, wo sie sich so abrackert für den Jungen und die Tochter." - "Und die arme Melanie! Kommt abends von der Arbeit, und zu Hause ist nur Krieg."

"Und der arme Basti", hob ich an, "so eine große Umstellung ...."

Aber das wollte niemand hören.

Jesper Juul sagt:


Es gibt keine Eltern, die ihre Kinder nicht über alles lieben.

Und es gibt keine Kinder, die ihre Eltern nicht über alles lieben. 


Aber Eltern und Kinder können diese Liebe häufig nicht umsetzen in liebevolles Verhalten, stattdessen herrscht "tiefe, schmerzhafte Frustration".

Mutter und Oma rackern sich ab, um die kleine Halb-Familie über die Runden zu bekommen. Aber so viel sie auch rackern, sie haben nicht das Gefühl, für Bastian wertvoll zu sein. Das tut weh und macht wütend. Und alle Erwachsenen schreien nach härteren Maßnahmen für den aufmüpfigen Jungen.

Dabei sehen sie nicht, wie Basti sich abrackert.

Es ist ein existentielles Abrackern tief in ihm drin.

Er muss den Spagat hinkriegen zwischen seiner Liebe zu Mutter und Oma und seiner Liebe zu seinem Vater, der von den enttäuschten Frauen gerne als Horrorkulisse inszeniert wird. "Na, auf den kann man sich gar nicht verlassen."

Er muss - umgeben von zwei Frauen, die gerade auf Männer nicht gut zu sprechen sind - seine männliche Identität finden, ohne dafür in seiner unmittelbaren Nähe ein Vorbild zu haben, jemand, der ihm alltäglich zeigt, wie man mit Frauen klar kommt.




Ihr könnt mir glauben, dass Basti sich abrackert, und es täte ihm gut, wenn das mal jemand anerkennen und verstehen würde.

Und bei dem ganzen inneren Ringen kommt jetzt auch noch ein neuer Mann für Mama, ein Umzug, der Verlust der Freunde, eine neue Schule ....

Noch Fragen?

Man kann froh sein, dass der Junge nur ein paar Arbeitsunterlagen versteckt hat und nicht Amok gelaufen ist.

Juul sagt, Kinder von alleinerziehenden Eltern würden sich schnell zu viel Verantwortung aufbürden, aber aufhören zu kooperieren, wenn sie nicht mehr können.

Das gelte besonders für das älteste oder das einzige Kind.

Nicht mehr kooperieren heißt: sie machen ihre Hausaufgaben nicht mehr, verweigern ganz die Schule, halten sich nicht an Abmachungen, werden aggressiv oder krank.

Ich beziehe mich hier auf das Hörbuch Familienberatung. Perspektiven und Prozess, von Jesper Juul, erschienen im Dezember 2013. (Das gibt es auch als Buch, aber ich nutze Hörbücher gerne beim Zusammenlegen der Wäsche).

Welche Hilfen kann man ableiten aus dem Hörbuch:
  • Eltern in einer alleinerziehenden Situation sind extrem beansprucht. Juul zufolge gibt es zwei ebenso extreme Antworten auf diese Überbeanspruchung: 1) totales Negieren eigener Bedürfnisse und sich ganz aufgeben für die Kinder oder 2) abstumpfen und taub werden für die Nöte und das Befinden der Kinder. Weil beides schädlich ist, ist es wichtig, die Verantwortung für sein eigenes  Leben und seine eigene Gesundheit zu übernehmen, ein Netzwerk aus anderen Erwachsenen zu gründen, sich Unterstützung zu holen.
  • sehen und anerkennen, welche Kooperationsleistung das Kind vollbringt; es in Entscheidungen mit einbeziehen (Ja, wir gehen in eine neue Stadt. Was könnte es dir erleichtern, die Umstellung zu bewältigen? Soll ich die Eltern deines Freundes fragen, ob er bald nach dem Umzug ein Wochenende bei uns verbringen darf? ...) Und wenn Mutter mit ihrem Freund zusammen ziehen möchte, muss sie ihren Sohn fragen, wie und unter welchen Bedingungen er wohnen möchte. 
  • Nicht einfach abstrakte Grenzen setzen (iPad wegschließen). Das bleibt zu sehr an der Oberfläche und verhärtet die Situation nur. Sich als Mensch aus Fleisch und Blut einbringen, sagen, was geht für mich persönlich und unter welchen Bedingungen. z.B. "Ich weiß, der Umzug ist ein großer Einschnitt für dich. Wenn dir Computerspiele Entspannung bringen, kann ich akzeptieren, dass du das im Moment brauchst. Mir ist nur wichtig, dass du in der Schule den Anschluss nicht verpasst und für die neue Schule nicht so ein schlechtes Zeugnis hast. Was kann dir dabei helfen?....

Huch, das war jetzt viel Text. Könnt ihr noch einigermaßen fröhlich bleiben?

Das wünscht euch auf jeden Fall

Eure

Uta