Dienstag, 8. Oktober 2013

Glückliche Familie Nr. 173: Machos im weiblichen Biotop Schule


Wir sind wieder zu Hause, aber ich konnte nicht bloggen, weil unsere Fritzbox kollabiert ist. Kaum habe ich die Kiste gelobt, bricht sie zusammen. War vielleicht doch zuviel mit dem ganzen Jugendschutz.
Ich habe dafür Verständnis. Die meiste Zeit fühle ich mich auch überfordert vom Jugendschutz.

Dass ich nicht ins Internet konnte, war trotzdem blöd, weil ich euch dringend von einem Text schreiben wollte, den meine süddeutsche Schwägerin für mich kopiert hatte.

Wenn mich ein Artikel oder ein Buch begeistert, dann möchte ich am liebsten mit tausend Exemplaren über das Land fliegen und Kopien aus dem Hubschrauber abwerfen.

Dieser Text ist so einer.

Er stammt von dem Schweizer Allan Guggenbühl und heißt: "Die Schule - ein weibliches Biotop? Psychologische Hintergründe der Schulprobleme von Jungen". (erschienen in: Handbuch Jungen-Pädagogik von Michael Metzner und Wolfang Tischner, 2008, S. 150 - 167)

Guggenbühl schreibt, dass die Schulen es gut gemeint hätten, als sie in den 80er und 90er Jahren die Geschlechterrollen abschaffen wollten. Ein Mädchen sollte nicht darauf festgelegt werden, ein Mädchen zu sein, ein Junge nicht darauf, ein Junge zu sein. Mädchen sollten für Naturwissenschaften begeistert werden, Jungen für Handarbeiten und den Frieden.

Was gut gemeint war, so Guggenbühl, war letztlich eine Ideologisierung und ginge an der Realität von Kindern vorbei. Zwischen den Geschlechtern gebe es Unterschiede, die wir nicht leugnen könnten. Und wenn wir sie leugneten, würden wir den Schülern nicht gerecht. Vor allen den Jungen nicht, die inzwischen viel häufiger die Schule abbrechen oder zur Therapie geschickten werden als die Mädchen.

"Die überwiegende Mehrzahl der Kinder will sich als Junge oder Mädchen ins Leben einbringen, will die geschlechtliche Identität ausbauen und entwickeln. ... Auch wenn die Erwachsenen sich strikt geschlechtsneutral verhalten, entwickeln sich die Geschlechtsunterschiede. ... Wenn die Schule Geschlechtsunterschiede negiert, dann werden aus den Schülerinnen Tussis und aus den Schülern Machos!" (S. 153) 

In dem Artikel wird mit Methoden aufgeräumt, die ich bis letzte Woche für toll hielt.

Individualisierter Unterricht zum Beispiel.

Guggenbühl macht klar, dass es für einen Jungen Stress bedeutet, wenn sich eine wohlmeinende Lehrerin an seinen Tisch setzt, ihm tief in die Augen blickt und nach seinen Interessen fragt.
"Wieso setzt sie sich wieder an meinen Tisch, spricht mit leiser Stimme und betroffenem Gesicht?" 
Über Worte Nähe zu erzeugen, ist ein sehr weibliches Verhalten. Jungen irritiert das eher. Sie stellen Nähe mehr über Taten her. Wenn sie jemanden zeigen wollten, dass sie sie mögen, würden Jungen ihr neustes Handy vorführen, eine Schachtel voller Würmer zeigen oder erklären, wie man den Stuhl verstellt, so Guggenbühl.


Das Tun ist für Jungen noch wichtiger als für Mädchen - Kronprinz vor Jahren an der Nordsee

Auch bei uns an der Schule gibt es seit einiger Zeit sogenannte "Lernzielgespräche".
Meistens sieht das so aus: Lehrerin, Uta und Sohn sitzen zu einem vereinbarten Termin im leeren Klassenzimmer. Lehrerin und Uta sind begeistert über so viel Gelegenheit zum Quatschen, Sohn sitzt muffig daneben.

Danach auf dem Weg zum Auto.

Uta: "War doch toll, wie Frau Wagner auf uns eingegangen ist und wie differenziert sie dich sieht, oder?"

Kronprinz (15): "Mmmmpf".

Uta: "Eigentlich ist sie ja doch ganz nett, die Frau Wagner."

Kronprinz: "Mmmmpf".

Uta: "Du musst dich einfach nur ein bisschen häufiger melden und dich mehr bei der Gruppenarbeit einbringen."

Kronprinz: "Mmmmpf".

Uta: "Ja, fandest du das Gespräch denn nicht gut?"

Kronprinz: "Kriegen wir jetzt eigentlich einen Internetverstärker?"

Ende des Gesprächs.

Auch Prinzessin ist keine Freundin von Lernzielgesprächen. Aber sie reagiert - typisch Frau - ganz anders darauf. Sie sucht Augenkontakt zur Lehrperson, trägt eifrig neue Lernziele ein und sitzt mit einem charmantem Dauerlächeln auf ihrem Stuhl.
Als wir nach dem jüngsten Lernzielgespräch die Treppe zum Parkplatz hinaufgingen, knetete sie ihre Wangen.

"Was machst du da?" - "Ich massiere mein Gesicht. Dieses Dauergrinsen ist so mega-anstrengend."

Ich bin vom Thema abgekommen.

Es ging darum, dass Allan Guggenbühl eine zu starke Individualisierung des Unterrichts für Jungen nicht gutheißt. Phasen des Frontalunterrichts seien wichtig für Jungen.
Ich zitiere: "Wenn die Lehrperson vor einer Schülerschar steht, auf sie einspricht und etwas verlangt, dann präsentiert sie sich als Oberbandenführer". Das bräuchten Jungs von Zeit zu Zeit. Überhaupt bräuchten sie die Gruppe oder Klasse, weil sie sich viel mehr in Hierarchien einsortierten als Mädchen. Die Klasse und ihre Struktur sei für sie eine wichtige Motivation (Besser in Mathe sein als Tim und fast so gut wie Leon). Bei zuviel Individualisierung und ständigem Werkstattunterricht, wo jeder an seinen Themen vor sich hinarbeitet, verlören Jungen ihren inneren Halt.

Ein typisches Gewächs des "weiblichen Biotops Schule" ist die Note für soziales Verhalten, die es inzwischen in vielen Bundesländern gibt. Dem Artikel zufolge sind zumindest die Kriterien, nach denen sie vergeben werden, zutiefst weiblich.
"...das Sozialverhalten ist inzwischen zur schulischen Schlüsselkompetenz aufgestiegen. Schüler und Schülerinnen sollen lernen, eigene Gefühle in Worte zu kleiden, Konflikte verbal zu meistern, zu kooperieren und sich in eine Gruppe einzufügen. ... Die Standards, durch die soziale Kompetenzen genauer festgelegt werden, entsprechen dem Sozialverhalten der Mädchen und nicht jenem der Jungen." (S. 165)
Jungen reagieren körperlicher, sie provozieren gerne, machen Witze und prahlen gerne, um Kontakt zur Gruppe aufzunehmen. Sie brauchen als Lehrer oder Lehrerin einen "Oberbandenführer", der das durchschaut, mal darüber lachen, es aber auch eindämmen kann, statt den Jungen gedanklich und im Zeugnis abzuwerten.

Ach, ich könnte noch so vieles aufgreifen aus dem Text. Aber das führt zu weit.

Für Zuhause noch den Tipp:

Wenn ihr mit eurem Sohn ein wichtiges Gespräch führen wollt, macht nicht die "Schau-mir-in-die-Augen-Kleiner-Nummer". Ihr kommt ihm viel näher, wenn ihr zusammen wandert, joggt oder etwas werkelt.

Immer fröhlich einen Jungen einen Jungen sein lassen

eure Uta