Dienstag, 10. September 2013

Glückliche Familie Nr. 167: Vom Thron gestoßen


Als Kronprinz vier Jahre alt war und seine Schwester gerade laufen konnte, gingen wir  in einem Park spazieren. Prinzessin hockte etwa 50 Meter hinter uns im Laub, weil sie Steine aufheben musste. Da ergriff der Vierjährige energisch meine Hand und sagte: "Komm, Mama, wir rennen weg."

Ohne mit der Wimper zu zucken, hätte er seine Schwester im Park zurückgelassen. Ein Wolfskind wäre sie geworden, irgendwann aufgegriffen vom Wildhüter mit verfilzten Locken und einer Sprache aus Grunzlauten.

Diese kleine Geschichte fiel mir ein, als ich auf einem Blog las, welche Probleme eine Mutter mit ihrem Sohn hat, seitdem der kleine Bruder geboren ist. Die Frau wunderte sich über die Wut und Aggression des Jungen und schrieb, ihr Mann und sie hätten es doch so geschickt aufgeteilt: Sie kümmere sich hauptsächlich um das Baby und er abends um den älteren Jungen.

Liebe im Schichtwechsel?

Da würde ich mich auch schreiend auf den Boden werfen.

"Ent-Thronung" ist für ein Kind besser zu verkraften, wenn man die Akzente leicht verschiebt.

Man drücke gelegentlich den Säugling seinem Vater, der Oma oder einer liebevollen Nachbarin in den Arm und lasse sich mit dem Erstgeborenen auf das Sofa fallen. Man sage so Dinge wie: "Wir beide haben ganz schön viel Arbeit mit dem Wurm. Geht dir das Geschrei auch auf die Nerven?"

Dann: ausgelassene Kitzelrunde, Kissenschlacht und mit dem großen Kind auf dem Schoß das Lieblingsbuch angucken.

Dann: halbe Stunde Koma-Schlafen für Muttern (hat nichts mit Eifersucht von Kronprinzen zu tun, sondern mit dem nackten Überleben von Muttern).

Dann: wenn hoffentlich die Kinder schlafen und die Wohnung so verranzt ist, dass es auch egal ist, in dem Chaos den Partner und die Erotik suchen. Wenn man nichts findet, zusammen auf dem Sofa abhängen und DVD über die Erotik anderer Menschen gucken.

Bin ich jetzt vom Thema abgewichen?

Ich war doch ganz gut unterwegs als Entsandte der Familienbildungsstätte Hamburg-West. Und dann nur noch Chaos und eine Erotik, die niemand mehr findet unter den ganzen Stilleinlagen.

Sorry, aber ich wurde einfach überflutet von der Erinnerung an diese Zeit, Erinnerung an die Anstrengung, an die perforierten Nächte, an die Frisur mit dem Abdruck vom Stillkissen, an den Brei, der nicht gegessen wird ...


Bild aus unserer Rush-Hour-Zeit

Die Zeit mit kleinen Kindern ist die Rush Hour des Lebens. Die Umstellung auf Familie schaffen, den Anschluss im Job nicht verpassen, die Kita-Entscheidung fällen, die Partnerschaft und die Getreidemühle pflegen ...

Wie soll man es da schaffen, die Bedürfnisse jedes Kindes zu sehen und ihnen gerecht zu werden?

Immer wieder trifft man auf das Zitat von dem "ganzen Dorf", das es braucht, um ein Kind groß zu ziehen.

Die amerikanische Frauenärztin Christiane Northrup schreibt:
"Ich erinnere mich gut an die schönste Zeit, die ich mit meinen Kindern verbrachte, als sie klein waren (drei Monate und zwei Jahre). Ich besuchte damals meine Mutter, und meine Schwester und ihre Kinder waren gleichzeitig dort zu Besuch. Meine Schwester stillte auch gerade; wenn ich also eine Weile fortgehen wollte, stillte sie einfach Kate für mich, so wie Frauen es seit Jahrhunderten getan haben. ... Unsere Kinder spielten vergnügt zusammen, und ich konnte die Gesellschaft Erwachsener genießen und mich gleichzeitig an meinen Kindern freuen. Das war das einzige Mal, dass ich eine Vorstellung davon bekam, wie es gewesen sein muss, Mitglied einer liebevollen Sippe zu sein." (Christiane Northrup: Frauenkörper. Frauenweisheit. Wie Frauen ihre ursprüngliche Fähigkeit zur Selbstheilung wiederentdecken können. München 1999, 2. Auflage, S. 472)
Unter solchen Bedingungen hätten wir die Möglichkeit auf Kinder einzugehen, wie sie es bräuchten.

Also immer fröhlich die entmachteten Thronfolger durchkitzeln und gucken, wo man Sippschaften nutzen oder gründen kann

Uta