Dienstag, 23. Juli 2013

Glückliche Familie Nr. 155: Die Märtyrer-Mama


Gestern Abend sind wir aus Frankreich zurückgekehrt. Koffer stehen aufgeklappt im Wohnzimmer. Der tapferste Mann von allen ist zur Arbeit gefahren. Die Kinder schlafen noch. Nur das Schleudern der Waschmaschine ist zu hören und eine Wespe, die gegen die Scheibe trudelt.

Ich bin allein.

Wir hatten einen wunderbaren Urlaub. Und doch hat mir eins gefehlt: Alleinzeit.

Zeit, in der ich auf niemandes Bedürfnisse eingehen muss. Raum, wo niemand ist außer ich.

Ich weiß nicht, warum das bei mir so ist.

Meine Güte, meine Kinder sind fast groß. Wenn ich nur an die Mütter denke, die noch kleine Kinder haben und gleich mehrere davon, die müssen googeln, um zu wissen, was die Wörter "eigene Bedürfnisse" noch mal bedeuten.

"Uta, stell dich nicht so an", sagte ich mir im Urlaub und missachtete mein Alleinzeit-Bedürfniss.

Dieses Bedürfnis erkläre ich mir so, dass ich in übertriebener Weise darauf eingehe, was Lebewesen in meiner Umgebung für Bedürfnisse haben oder - schlimmer noch - was ich denke, was sie denken, für Bedürfnisse zu haben. 

Und dann verausgabe ich mich und brauche Alleinzeit.


Schön, mal Alleinzeit zu haben und nachsinnen zu können, was man so veranstaltet mit sich und seinen Mitmenschen.

Wie ich mich verausgabe?

Da mache ich Unterwasser-Salti mit Prinzessin (12) im Pool, weil das arme Kind im Urlaub noch niemanden kennengelernt hat. Danach habe ich soviel Wasser im Ohr, dass ich hinterm Trommelfell ein Sardinchen halten könnte.

Da gehe ich mit den Kindern auf die Rastplatztoilette und lasse ihnen den Vortritt, obwohl ich viel dringender muss als sie.

Da zermartere ich mir das Hirn, wie ich nach dem Essen in dem kleinen Lokal das Fischfilet loben könnte ("La oder le dorade a été magnifique oder formidable oder einfach trés bien?"), weil der Kellner so schüchtern war und sicher ein bisschen Lob gebrauchen könnte.

Da lasse ich Prinzessin den Ballwechsel wiederholen, damit das Kind beim Tischtennisrundlauf nicht ausscheiden muss.

Da gibt es noch drei Grillwürstchen für vier Leute und ich behaupte, ich wollte sowieso keines mehr.

"Das regt mich so auf bei Mama", sagte Kronprinz (15) im Urlaub. "Das macht sie zu Hause auch. Da lässt sie mich die letzte Himbeere essen, obwohl ich weiß, dass sie sie auch gerne gehabt hätte."

Märtyrertum ist furchtbar. Mutter opfert sich auf für die Brut und wenn sie nicht mehr kann, wird sie zickig oder kriegt Migräne, weil der Mensch automatisch für Ausgleich sorgt, wenn auf Dauer die erhoffte Anerkennung für das erbrachte Opfer ausbleibt. (Opfer meist, die niemand von den anderen wollte. Blödes Spiel!)

Fällt euch noch etwas auf?

Immer steckt dahinter die Haltung, der andere sei benachteiligt: "das arme Kind", "der schüchterne Kellner", "der noch nicht ausgewachsene Körper, der Vitamine braucht" ...

Durch mein angeblich so selbstloses Verhalten mache ich den anderen erst schwach, dränge mein Kind sanft, aber sicher in die Opferrolle.

Also immer fröhlich das Kind vor dem Klo warten lassen, glorreich ins Tischtennisfinale einziehen und als Mama gierig das letzte Stück Schokolade grabschen

eure Uta

PS: Auf der Rückfahrt im Auto schob Kronprinz (15) von hinten seinen Fuß auf die Lehne des Beifahrersitzes, damit ich ihn kratzen könnte: "Komm schon, Mama, das ist mein Opfer-Fuß."