Sonntag, 12. Mai 2013

Glückliche Familie Nr. 143: In Berlin


Ihr habt jetzt ein paar Tage nichts von mir gelesen, weil die glückliche Familie in Berlin war.

Eine Stadt mit so vielen Sehenswürdigkeiten und so viel Geschichte erschöpft mich schon, bevor ich da bin.

Was müssen wir den Kindern zeigen? Lieber die Mauer-Gedenkstätte in der Bernauer Straße oder ist das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen eindrucksvoller? Lieber den Reichstag oder die East-Side-Gallery? Lieber mit dem Holocaust befassen oder mit dem Bau der Mauer?

Oder nicht so schwere Themen? Vielleicht das Pergamon-Museum besuchen, ein Radiergummi im Ampelmännchen-Shop kaufen oder sich mit einer Curry-Wurst in den Tiergarten "bratzen" (Zitat Prinzessin)?

Als wir über den Potsdamer Platz schlenderten, kam die Kuppel des Reichstags in unser Blickfeld. Eine staatsbürgliche Feierlichkeit ergriff mich, ich tippte Prinzessin (12) an die Schulter und sagte: "Da trifft sich der Deutsche Bundestag, da steht Frau Merkel unterm Bundesadler, wenn du sie im Fernsehen sprechen siehst, da wird jedes Gesetz verabschiedet, das in unserem Land gilt."

Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber ich erinnere mich, dass mir als Kind immer ein Schauer über den Rücken lief, wenn meine Eltern, meine Schwestern und ich im Renault 4 gequetscht über die Grenze nach Dänemark fuhren. "Wir verlassen Deutschland", dachte ich und setzte mich aufrecht.  "Gleich fahren wir über die entscheidende Linie. An dem Busch da vorne. Jeeee....tzt sind wir in einem anderen Land."

Kurz vor den ersten Dünen erlaubte ich mir, wieder zu atmen.

Dabei ist "Checkpoint Schilfgras" bei Flensburg historisch gesehen ein Fliegenschiss verglichen mit Checkpoint Charlie in Berlin.

Was die dänische Grenze mit dem Reichstag zu tun hat? Gar nichts. Aber mit Ehrfurcht vor so staatstragenden Dingen wie Grenzen, staatlicher Macht, Plenarsälen ...

"Also da", ich zeigte wieder auf die Kuppel, "wird über alle entscheidenden Dinge in unserem Land abgestimmt."

"Mama, das hast du schon vor fünf Minuten gesagt."

"Ja, aber es ist ja auch so wichtig."

Eigentlich hatte ich Wochen vor unserer Reise eine Reichstagsführung buchen wollen. Eigentlich.

Aber eine DVD über den Mauerbau hatte ich rechtzeitig bestellt. So haben wir am Vorabend der Reise die Dokumentation "Flucht in die Freiheit. Die Geschichte einer mörderischen Mauer"gesehen. Eindrucksvolle Animationen zeigen, wie der Grenzstreifen mit Stacheldraht, Wachhunden, Minenfeldern und Selbstschussanlagen immer mehr zum Todesstreifen wurde. Nachgestellt wurden spektakuläre Fluchtversuche. Man sieht einen Mann mit seinen Brüdern einen Tunnel graben, um Frau und Kinder zu sich nach West-Berlin zu holen, zwei Freunde nachts mit Surfbrettern über die Ostsee entkommen oder einen Familienvater aus Stoffbahnen einen Heißluftballon nähen. Diese persönlichen Geschichten verwoben mit Fakten über die Brutalität der Grenze haben auch Prinzessin sehr beeindruckt. (Der Film eignet sich meiner Einschätzung nach für Kinder ab zehn Jahren.)

So haben wir in Berlin keine Marco-Polo-Top-Ten-Sehenswürdigkeiten abgearbeitet, sondern sind gemütlich durch Friedrichshain gebummelt, haben Freunde besucht, die East Side Gallery gesehen und veganes Rührei probiert (na, ja).

Kurz vor unserer Abreise aber waren wir an der Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße.

Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße

Ohne zu meckern haben sich die Kinder Mauerreste und Gedenktafeln angeschaut. Und ich musste daran denken, dass Wissenserwerb am besten über das Schneeballprinzip funktioniert:

Wenn schon ein paar, möglichst persönlich berührende Informationen (Schneeball) vorhanden sind, kann weiteres Wissen leicht daran anknüpfen. An dem Schneeball bleibt auf dem Weg ins Tal immer mehr Schnee hängen und macht ihn zur Lawine.

Schnee, "Check Point Schilfgras", veganes Rührei? Schreiben hat eine merkwürdige Eigendynamik.

Immer schön fröhlich Berlin ansehen und vorher eine Doku gucken

Uta