Freitag, 5. April 2013

Glückliche Familie Nr. 136: Toxische Selbsteinschätzung


In der vergangenen Woche war ich auf eine Party eingeladen, auf der ich bis auf die Gastgeber niemanden näher kannte. Ich zog meinen Lieblingsblazer der Marke "Selbstwert-Panzer" an und puderte mein Gesicht, bis sich die Nase auf einer Ebene mit den Wangen befand. Als die Wolken des stärksten Deos mein Spiegelbild umwaberten, sprach ich:

"Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist die Souveränste im ganzen Land?"

"Frau Uta, Sie sind die Souveränste im ganzen Land. Selbst wenn niemand das Wort an Sie richten sollte, werden Sie lächelnd durch den Raum schweben.

"Spieglein, Spieglein an der Wand. Aber werde ich mich auch nicht allein und unsicher fühlen?"

"Frau Uta, Sie sind die Unabhängigste im ganzen Land. Alle Gäste werden spüren, dass Sie Ihr Bedürfnis, von anderen anerkannt zu werden, längst losgelassen haben."

"Spieglein, Spieglein an der Wand, wenn aber jemand, der von meiner inneren Freiheit magisch angezogen wird, das Wort an mich richtet, werde ich auch geistreich und schlagfertig sein?"

"Frau Uta, Sie können plaudern mit Wortwitz und Charme, aber der Dieter Nuhr zwischen den tausend Buchdeckeln und auf den vielen Fernsehkanälen ist tausendmal geistreicher als Sie."

Da erschrak Frau Uta und ward gelb und grün vor Neid (durch das ganze Make-up durch). Sie zwängte sich in ihren figurbetonenden Blazer, schnürte fest die Stiefel, die Frau Uta satte vier Zentimeter Größe hinzufügten, und hieß ihr Navi, den Weg zur Party zu finden.

Die Party war okay. Es gab kein Bar-Gestehe (ich hasse Bars, kriege Nackenverspannungen vom Hochgucken zu den Gesprächspartnern, höre nicht zu, weil ich fieberhaft überlege, wie ich ohne Seil auf den nächsten Barhocker komme).

Also kein Bar-Gestehe, sondern Tischreihen, bei denen es kein Entkommen für die Gesprächsopfer gibt.

Es war nett, doch.

Wirklich.

Ganz ehrlich.

Trotzdem laugen solche Veranstaltungen mich völlig aus. Müde und abgekämpft kam ich nach Hause. Und mein Mann meinte, dass meine Small-Talk-Aversion fast einer Behinderung gleich käme.
Wie könnte ich annehmen, dass irgend ein Fremder mit mir über Wertevermittlung im 21. Jahrhundert, den Sinn unseres Daseins oder die Existenz Gottes sprechen wolle?

Recht hat er.

Warum kann ich nicht rumblödeln und dabei ein Carpaccio auf der Zunge zergehen lassen?

Wupps, war ich drin in der Selbstabwertungsschleife.

Dabei hatte ich mir beim Lesen des Buches "Die fünf Geheimnisse, die Sie entdecken sollten, bevor Sie sterben" von John Izzo vorgenommen, mich nie, wirklich nieeeee wieder mit dem Thema "Selbstwert" zu beschäftigen, weil es eine solche Energieverschwendung ist "wie hypnotisiert mit einer Art toxischer Selbsteinschätzung" (S. 103, ebd.) herum zu laufen.

Mir ist außerdem klar geworden, dass Menschen, die immer wieder behaupten, sie hätten ein geringes Selbstwertgefühl, furchtbar um sich selber kreisen, statt sich mit all ihren Fähigkeiten in dieses Leben zu schmeißen und Spuren zu hinterlassen.

Jetzt gibt es noch ein Schmuckfoto ...


"Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der entspannteste Kater im ganzen Land?"



... und zwei Schlussfolgerungen:

  1. Ich gehe nicht mehr zu solchen Partys.
  2. Ich lese Prinzessin (12) die nächsten Abende je ein Kapitel aus dem Buch  "Mein Leben ohne Limits. Wenn kein Wunder passiert, sei selbst eins!" von Nick Vujicic vor, weil ich nicht zulassen werde, dass meine Kinder zu einer "toxischen Selbsteinschätzung" kommen.

Immer schön fröhlich bleiben

Uta