Montag, 3. Dezember 2012

Glückliche Familie Nr. 104: Der Elternabend


Zusammen mit dem Vater von Lotta bin ich Elternvertreterin in der Klasse von Kronprinz (15). Das ist mein Comeback als Elternvertreterin. Fünf Jahre lang hatte ich kein Amt in der Schule.

Ich war Elternvertreterin im Kindergarten und Mitglied des Elternrats in der Grundschule. Aber weil man mich immer zum Protokollschreiben verdonnern wollte ("Du bist doch Journalistin.") habe ich lieber aufgehört. Meine Wiederwahl war sowieso gefährdet. Das mit den Wellnessgutscheinen zum Lehrergeburtstag lief bei mir etwas schleppend.

Nun muss man dazu sagen, dass Elternabende in unserer Gegend immer gut besucht sind:

Wenn Mutter beim Hatha-Yoga ist, kommt Vater.
Beim ersten Elternabend vom ersten Kind in der ersten Klasse kommen beide.
In den höheren Klassen kommen beide, wenn sie geschieden sind und das Vertrauen futsch ist, dass der andere die Kofferliste für die Skireise vernünftig mitschreiben kann.

Nicht nur die Präsens auch das Bildungsniveau ist hier sehr hoch. Ich habe Elternsprecherwahlen erlebt, bei denen alle fünf Posten bis runter zum Wart der Klassenkasse mit Promovierten besetzt werden konnten.

Das macht die Sache nicht leichter.

Der Mann meiner Cousine machte den Fehler, einen Elternabend in der Grundschule zu besuchen. Eine Mutter, promovierte Ärztin, ließ ein Einweckglas mit einer Laus herumgehen, die sie auf dem Kopf ihrer Tochter gefunden hatte. Sie machte den Elternabend zum Pro-Seminar über Schädlingsbefall. Und die anderen Erwachsenen saßen mit den Knien im Gesicht auf den Mini-Stühlen und hörten seitenlange Anweisungen, was nun zu tun sei.
Da meldete sich der Mann meiner Cousine zu Wort: "Entschuldigung, Frau Dr. Sowieso, wenn ich ihren Ausführungen richtig folgen konnte, ist es doch ihre Tochter allein, die Läuse hat. Wären Sie so freundlich, das Kind zu Hause zu lassen, bis Sie guten Gewissens ein Attest darüber ausstellen können, dass die Population ausgerottet wurde."

Seither geht meine Cousine zu den Elternabenden.

Elternabende in der Schule sind ja die Gladiatorenkämpfe der Neuzeit.

Schul-Brot und Spiele. 

Die Eltern haben sich in der Arena Klassenzimmer versammelt. Eine Tüte "Colorado" macht die Runde. Die junge Lehrerin, gerade der Referendarszeit entschlüpft, sucht Halt in der Tagesordnung, die sie mit zittriger Hand an die Tafel geschrieben hat.
Ende Zwanzig ist sie und steht Mittvierzigern im Zenit ihrer Karriere gegenüber. Rechtsanwälte, Ärzte, Apotheker, Lehrer, Medienmanager ... Und alle sitzen da, bereit, rhetorisch den Löwen aus dem Käfig zu lassen.

Die Lehrerin von Kronprinz ist von einer Schule in Berlin-Neukölln ganz frisch nach Hamburg gekommen. Kaum hatte sie die Kronprinz-Klasse übernommen, hatte sie die waghalsige Idee, dass sich die Schüler nach der großen Mittagspause fünf Minuten früher im Kunstraum einfinden sollten, um nach Bereitlegen der Materialien pünktlich mit dem Unterricht beginnen zu können.

Ein schwerer Fehler.

Ein Vater sprang auf und rief: "Wir sind hier ja nicht in Neu-Kölln!" Mehrere Eltern stimmten ein und meinten, die Lehrerin könne dankbar sein, eine so tolle Klasse führen zu dürfen. Und nun komme sie daher und zerstöre jegliche Motivation der Schüler.

Irgendwann trat der Katharsis-Effekt ein. Die Agression war verraucht, die Lehrerin einen Schritt weiter zum Burn-out, die Colorado-Tüte leer. Im Eilverfahren ernannte man Lottas Vater und mich zu Elternvertretern.

Lottas Vater ist die ideale Wahl. Er trägt weder einen Doktortitel noch einen Doppelnamen. Sein Computer hat ein E-Mail-Programm, das allzu empörte Elternbotschaften sofort als Spam identifiziert.
Und er fährt einen Kleinbus, der sich schon mehrfach bewährt hat, um Getränkekisten und Tapeziertische für das Klassenfest runter an die Elbe zu fahren.

Und ich gebe zu meinem Comeback folgendes Wahlversprechen:
  • Ich verspreche, keinen Elternstammtisch zu organisieren. Denn wenn man in der Klasse ein kleines Problem hat, ist es nach dem Stammtisch ein großes Problem.
  • Ich verspreche, erst eine Nacht darüber zu schlafen, wenn aufgeregte Eltern eine Beschwerde an mich herantragen. Und dann erst zu handeln ... oder auch nicht.
  • Ich spreche mit anderen Eltern oder einem Lehrer persönlich. Ich schreibe Mails nur, um mich zu einem Telefonat oder einem persönlichen Gespräch zu verabreden.
  • Ich spreche gut über andere Schüler und deren Eltern oder ich halte die Klappe.
  • Im Konfliktfall wenden Lottas Vater und ich ein mehrstufiges Verfahren an: Gespräch zuerst mit der Lehrerin, dann mit der Beratungslehrerin, in schweren Fällen auch noch mit der Stufen-Koordinatorin und zuletzt mit der Schulleiterin (Reihenfolge wichtig und vom Eskalationsgrad abhängig).
  • Ich organisiere mindestens ein Fest im Schuljahr. 

Der Elternrat unserer Schule, 
nein, leider nicht, sondern Seine Heiligkeit Gyalwang Drukpa, Oberhaupt des tibetisch-buddhistischen Drupka-Ordens  mit Nonnen, Mönchen und einer ins Bild geschummelten Bloggerin.



Immer schön fröhlich andere Eltern vertreten

Uta